Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben die wirtschaftliche Abhängigkeit Europas gerade auch von autoritären Staaten offengelegt. Für den Ottonormalbürger und die Ottonormalbürgerin machte sich diese Abhängigkeit erstmals am Anfang der Pandemie bemerkbar, als Mund-Nasen-Masken knapp wurden, und noch immer gibt es lange Wartefristen für elektronische Hardware oder Fahrradrahmen und -komponenten. Die gegenwärtige Krise hat zu einem Umdenken in der Politik geführt. Europa ist gerade dabei, seine Abhängigkeit von russischem Öl und Gas zu senken. Und hier zeigt sich die Schwierigkeit: Entweder, man verlagert die Abhängigkeit aus Russland Richtung Golf – und hat es wieder mit autoritären Staaten zu tun, oder man investiert noch mehr in erneuerbare Energien. Aber auch dann sind wir abhängig von China, denn 70 Prozent der PV-Module werden dort produziert.
Von der Fabrik der Welt hat sich China in den letzten Jahren unbestreitbar zu einem Land mit Spitzentechnologie und High-End-Produkten emporgearbeitet und dehnt so seinen Einfluss in der Welt aus. Ob 5G-Technologie, Mobiltelefone oder Batterien für E-Autos: Viele wichtige Komponenten für die wirtschaftliche Entwicklung des Westens kommen aus China. Allerdings gilt festzuhalten, dass die angesprochenen Abhängigkeiten auch umgekehrt gelten, wie das Beispiel der Halbleiter zeigt: Die USA haben die Handelssanktionen gegen China verschärft und den grössten chinesischen Chip-Hersteller auf die Schwarze Liste gesetzt – und damit zum Engpass bei den Halbleitern beigetragen, der auch China empfindlich schwächt.
Reindustrialisierung und Digitalisierung
Schon vor seiner Wahl 2016 hat Donald Trump davon gesprochen, die nach Mexiko oder Asien ausgelagerte Produktion wieder auf amerikanischen Boden zurückzuholen. Und die USA machen ernst damit, denn auch sein demokratischer Nachfolger will den Produktionsstandort USA stärken. Gerade werden riesige Summen in den Bau von Halbleiterproduktionsstätten investiert, um so die Abhängigkeit der USA von Fernost zu verringern. Denn mit der zunehmenden Automatisierung und dem Wegfall der teuren menschlichen Arbeitskraft im Produktionsprozess scheint die Reindustrialisierung des Westens – zumindest in Teilen – wieder möglich. Wenn politisch gewollt und subventioniert, um die Abhängigkeit des Westens von anderen Ländern zu verringern, könnte der Produktionsstandort Europa in den nächsten Jahren einen Wachstumsschub erleben.
Dass die wirtschaftliche Verflechtung vor Produkten nicht Halt macht und sich auch im Dienstleistungssektor und der Entwicklung – und darunter ist auch die Softwareentwicklung zu zählen – in der Wertschöpfungskette widerspiegelt, ist selbstredend. Eine grosse Anzahl von KMU und Unternehmen beschäftigen in der Softwareentwicklung Offshore-Teams in Ländern Mittel- und Osteuropas wie Polen, Tschechien oder Serbien, aber auch im asiatischen Raum. Am Beispiel von Weissrussland zeigt sich, wie risikobehaftet das Outsourcing von IT-Dienstleistungen in ein anderes Land sein kann. So wurden die schon bestehenden Sanktionen gegenüber dem engsten europäischen Verbündeten Russlands im März 2022 verschärft, und niemand kann prognostizieren, wie sicher Weissrussland als externer IT-Dienstleiser für Schweizer Firmen in Zukunft sein wird. Müssen externe IT-Dienstleistungsstandorte aufgegeben werden, besteht nicht nur kurzfristig das Risiko, bestehende Services nicht mehr aufrechterhalten zu können, sondern auch der langfristige Verlust von Know-how. Denn ein Grossteil des Detailwissens über Geschäftsprozesse liegt heute bei der IT.
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