Wahrscheinlich musst du diese Frage an jeder Party beantworten, aber wir stellen sie dir trotzdem: Warum bist du Künstlerin geworden?
Das ist wirklich eine schlimme Frage, aber zum Glück werde ich das nicht so oft gefragt (lacht). Ich hatte kein Erweckungserlebnis. Schon als Kind war ich kreativ, wollte später Grafikdesign studieren. Dann realisierte ich, dass man im Grafikdesign zwar kreativ sein kann und muss, der persönliche Freiraum aber eher klein ist. Darum wollte ich freie Künstlerin werden.
In deiner Kunst interessierst du dich für die Körperlichkeit und wie Menschen ihre materielle Umgebung wahrnehmen und mit ihr interagieren. Du arbeitest hauptsächlich mit Marmor und Glas. Ist deine Wahl der Materialien das Ergebnis des Inhalts deiner Kunst, oder warum arbeitest du am liebsten mit diesen beiden Materialien?
Mein Studium habe ich im Film- und Sounddepartement angefangen. Weil es mir zu kopflastig, zu konzeptionell war, habe ich ins Glasdepartement gewechselt. Die Wertschätzung für Material war dort grösser, das Physische und dessen Prozesse hatten eine stärkere Präsenz. Meine Lieblingsmaterialien habe ich also erst während des Studiums entdeckt.
Hat die Wertschätzung des Materials auch etwas mit dem konkreten Wert des Materials zu tun? Also ist die Wertschätzung gegenüber Marmor grösser als gegenüber Glas?
Für mich nicht, mich interessiert vor allem die Geschichte des Materials. In meiner Kindheit verbrachte ich viel Zeit auf dem Werkplatz der Bildhauerschule meines Vaters und meiner Stiefmutter im Tessin (Scuola di Scultura di Peccia) und kam dort schon früh mit dem Schweizer Marmor, dem Cristallinamarmor, in Kontakt. Als ich mit meinem Kunststudium anfing, wollte ich nicht mit Marmor arbeiten: Das Material war mir zu nah und zu vertraut in dem Sinne, dass es eine grosse Rolle in meiner Familie spielt. Zudem dauert es sehr lange, Stein zu bearbeiten. Das fand ich anfangs uninteressant. Die Langsamkeit, die Marmor dem Bearbeiter abverlangt, fand ich dann aber gerade in unserer schnelllebigen Zeit wieder spannend.
Du bist in Deutschland geboren und in der Schweiz aufgewachsen, hast aber fast deine gesamte künstlerischen Karriere in den Niederlanden verbracht. Warum hat es dich dorthin gezogen?
Ich wollte einfach etwas anderes. Die Kunstszenen in Amsterdam und London fand und finde ich spannend, darum habe ich mich in diesen Städten für ein Studium beworben. Ich bin im Tessin, Schaffhausen, St. Gallen und Appenzell Ausserrhoden aufgewachsen und habe in Deutschland Abitur gemacht. Ein erneuter Umzug für mein Studium war für mich also auch nichts Ungewöhnliches.
Dein Kunstprojekt für ti&m steht unter dem Titel Avoiding the Void, als Vermeidung der Leere. Wie erklärst du dein Konzept in wenigen Sätzen?
Die Parallele zwischen euch als IT-Firma und mir als Künstlerin ist, dass wir etwas mit Bedeutung behaften wollen. Als Künstlerin ist es mir wichtig, dass der Betrachter etwas für sich aus dem Kunstwerk ziehen kann. In dem Sinne versuche ich, dem Betrachter eine bedeutungsvolle Konfrontation mit meiner Kunst zu verschaffen. Und in der IT ist das, nehme ich an, ähnlich. Der Unterschied ist, dass ihr euch vom Material entfernt, und ich damit arbeite. Meine Idee für das Projekt ist es, die physische und die virtuelle Wahrnehmung von Räumlichkeit zu hinterfragen. Erst Bedeutung verleiht der Kunst Berechtigung.
«Marmor ist ein Gegenpol zu unserer schnelllebigen Zeit, da er dem Künstler eine gewisse Langsamkeit abverlangt.»
Du realisierst normalerweise grosse, massive Kunstwerke. Für art@work machst du aber kleinere Werke in Bildschirmgrösse. Bestimmt das behandelnde Thema, in diesem Fall die IT, die Grösse des Kunstwerks?
Ob ich will oder nicht, meine Werke haben immer eine gewisse Grösse und sind weniger kommerziell zu handhaben. Die Vernissagen von art@work finden in Zürich, Bern und in Frankfurt statt, entsprechend müssen alle Werke in ein Auto passen. Darum habe ich für mich als Rahmenbedingung ‹kleinere› Formate festgelegt, ob es dann Bildschirmgrössen sind oder nicht wird man an den Vernissagen sehen.
Nun machst du ein Projekt für eine Digitalisierungsfirma. Unser Produkt ist es, die mittelbare Umwelt noch mehr zu abstrahieren und sozusagen die Welt über ein Endgerät zugänglich zu machen. Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf die Körperlichkeit und die Wahrnehmung der Welt?
Auf jeden Fall verändert die Digitalisierung die Wahrnehmung – unser Bewusstsein wird ständig mit Reizen berieselt. Gerade durch Social Media ist es möglich, in eine Abhängigkeit zu geraten, die dann wieder etwas Körperliches ist. Die ganze virtuelle Welt ist sehr kopflastig und hat grossen Einfluss auf unsere mentale Verfassung, gleichzeitig distanzieren wir uns vom eigenen Körper. Das Thema der Körperlichkeit und der Raum, den der Körper einnimmt, ist oft Thema in meinen Projekten. Mich interessieren Fragen, die sich mit dem physischen sowie mentalen Raum auseinandersetzen. Der digitale Raum kommt da zusätzlich noch dazu und verwebt sich mit den anderen. Interessant finde ich, dass der virtuelle Raum auf derselben Logik basiert, wie der echte. Es wurde keine komplett neue virtuelle Welt erschaffen, sondern lediglich eine virtuelle Reproduktion, die auf der Logik des echten Raumes beruht.
Kunst ist in irgendeiner Weise immer die statische Abbildung der Wirklichkeit oder zumindest der subjektiven Realität des Künstlers. Die digitale Welt verändert sich aber laufend. Kann diese mit festen Materialien wie Glas und Marmor überhaupt abgebildet werden?
Gerade weil die Materialien einen Gegenpol bilden, finde ich sie so passend. Das Kunsten Museum of Modern Art in Dänemark drückt dies, bei einer Ausstellung rund um Marmor, mit folgendem Zitat schön aus: «Especially in recent years, marble has become ‘in’ again, as we focus more on nature and our material world in a digital age.»