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Frau Heutschi, einer deutschen Studie zufolge hat bereits jeder Zehnte Erfahrung mit Identitätsdiebstahl gemacht. Sie sind mit physischen und digitalen Identitätslösungen
gut vertraut. Was sagen Sie zu diesen Zahlen?

Diese Zahlen überraschen mich nicht. Gesetzlich wurde reagiert: In der Schweiz gilt einerseits der Identitätsmissbrauch seit 2023 als Straftatbestand, andererseits wird mit dem künftigen E-ID-Gesetz eine wichtige Grundlage für eine sichere, vom Staat herausgegebene digitale Identität geschaffen. Parallel dazu hat die EU mit der «eIDAS 2.0»-Verordnung die Mitgliedstaaten verpflichtet, E-ID-Wallets für ihre Bürgerinnen und Bürger bereitzustellen. Beides soll 2026 umgesetzt werden.

18 Monate sind keine lange Zeit. Wie bereiten wir uns vor?

Wir brauchen Technologielösungen, die uns Sicherheit geben, damit wir dem virtuellen Gegenüber vertrauen können. Diese müssen den Schweizer und europäischen Richtlinien entsprechen, denn Landesgrenzen werden bei digitalen Identitäten und Nachweisen kaum eine Rolle spielen. Wir haben in den letzten eineinhalb Jahren ein einzigartiges Produkt entwickelt, das alle bisher bekannten Anforderungen an eine Technologielösung erfüllt und heute implementiert werden kann. Behörden und Unternehmen sollten jetzt beginnen, ihre Systeme für die Einführung der E-ID vorzubereiten, damit sie die Vorteile sofort nutzen können.

Wie soll die technologische Umsetzung dieser Richtlinien funktionieren?

Mit dem Konzept der selbstverwalteten Identität, englisch Self-Sovereign Identity. Denn digitale Nachweise oder Verifiable Credentials sind mehr als nur digitale Pendants zu physischen Dokumenten. Sie enthalten Informationen, sogenannte Attribute, die die Nutzer selektiv und gezielt teilen können. Sie können beispielsweise für sichere Berechtigungen für Mitarbeitende oder effiziente. berprüfungen der Kreditwürdigkeit eingesetzt werden. Die Nutzer behalten die Hoheit über ihre Daten und können nachvollziehen, welche Attribute sie wann mit wem geteilt haben. Im Gegensatz zu herkömmlichen zentral verwalteten Systemen erhält kein Dritter Informationen über die Verwendung.

Sie leiten die Unternehmensentwicklung der Orell-Füssli-Gruppe und sind Co-CEO des Tochterunternehmens Procivis, einer Anbieterin für Technologielösungen für digitale Identitäten und Nachweise. Wie passen diese Rollen zusammen?

Eines der Kerngeschäfte von Orell Füssli ist Sicherheit. Wir sind langjährige Vertrauenspartnerin von Staaten in der Herstellung physischer Vertrauensdokumente wie Banknoten, dem Schweizer Pass und Führerausweisen. Procivis ergänzt das Portfolio um digitale Identitäten und Nachweise. Wir  haben eine neue zukunftsweisende Softwarelösung entwickelt, über die Nachweise wie eine E-ID, ein digitaler Führerausweis oder andere digitale Nachweise ausgestellt, geprüft und gespeichert werden können. Diese Software bieten wir Behörden und Unternehmen an.

Warum sollten sich Behörden und Unternehmen für die Lösung von Procivis entscheiden?

Es gibt viele technische Diskussionen rund um Protokolle, Formate und Standards, mit denen die meisten Institutionen nichts anfangen können. Daher warten viele darauf, dass sich die EU beziehungsweise der Bund technisch entscheidet. Wir haben mit Procivis One eine eigene Pionierlösung entwickelt, die multi-protokollfähig ist, den aktuellen Regularien in der Schweiz und in der EU entspricht und flexibel auf künftige Entwicklungen angepasst werden kann. Sie entspricht den SSI-Vorgaben und stellt die Datenhoheit bei den Nutzern sicher. Procivis One kann schon heute eingesetzt und von unseren Kunden autark betrieben werden hochperformant und skalierbar für Millionen Nutzer und Nachweise.

Welche anderen Nachweise könnten denn in den nächsten Jahren relevant werden?

Es gibt in der Schweiz drei verschiedene Ambitionslevel: Level 1 ist die digitale Identität per se, Level 2 sind staatlich regulierte Nachweise wie Führerausweis, Strafregisterauszug oder Diplome, Level 3 sind alle anderen digitalen Nachweise wie Berechtigungs- und Mitgliedsausweise. Potenzielle Anwendungsfälle sind praktisch endlos vorhanden.

Was würden Sie unseren Leserinnen und Lesern raten?

Ich bin davon überzeugt, dass Institutionen, die sich bereits jetzt auf die Einführung der E-ID in der Schweiz beziehungsweise eIDAS 2.0 in der Europäischen Union vorbereiten, einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen haben werden. Sie sollten sich überlegen, welche Prozesse effizienter oder neu gestaltet werden können und welche Auswirkungen dies auf die bestehende IT-Infrastruktur hat. Parallel dazu sollte die technologische Implementierung beleuchtet werden, damit die zukünftige Umsetzung vereinfacht wird.