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Viele kennen das: Wird im Kollegen- und Freundeskreis über Nachhaltigkeitsthemen diskutiert, dann schwebt oft ein Hauch von Ursprünglichkeit durch den Raum. Vor unserem geistigen Auge entstehen Bilder von klaren Gebirgsbächen, rauschenden Laubwäldern und glücklichen Kindern, die herzhaft in einen roten Apfel beissen … Cut! Wir schwenken auf blinkende Rechenzentren, exakt getaktete Roboter und Ingenieurinnen und Ingenieure, die über komplexen Diagrammen brüten. Vom Traum in den Alptraum? Nein, einfach nur vom verklärten Bild in die Realität.

Nachhaltigkeit ist ohne Digitalisierung nicht denkbar

Wie sonst soll unsere dezentral erzeugte erneuerbare Energie intelligent und effektiv zum Verbraucher kommen? Wie sonst können wir Mobilität neu denken, mit Sharing-Modellen und effektiver Vernetzung unterschiedlicher Transportmittel? Wie sonst kann eine komplexe Kreislaufwirtschaft funktionieren? Oder wie sonst können unsere Landwirtinnen und Landwirte schonend und gleichzeitig wirksam den notwendigen Ertrag für unsere Ernährung generieren?

Der Einsatz von digitalen Technologien analysiert, interpretiert und steuert die Kernprozesse unserer Gesellschaft und damit auch deren Transformation hin zu einem nachhaltigen Wirtschaften. Und mit «nachhaltigem Wirtschaften» sind wir alle gemeint. Das Unternehmen, für das wir arbeiten, unser Arbeitsumfeld und unsere ganz spezifischen Arbeitsinhalte. Also genau das, was im Zuge der Digitalisierung eines Unternehmens transformiert und neu gestaltet werden soll. So können wir also auch den Spiess umdrehen und sagen:

«Digitalisierung muss nachhaltig sein».

Hier sind wir also von den klaren Bächen und rauschenden Wäldern direkt und ohne Umweg an unserem Arbeitsplatz, unseren Projekten und To-Do-Listen und der Quelle unserer monatlichen Lohnabrechnung gelandet. Wir stehen vor einer Herausforderung, die wir so explizit noch gar nicht auf dem Radar hatten. Und zwar auf allen Ebenen des Unternehmens, von der strategischen Ausrichtung bis hin zum operativen Betrieb. Und es drängt sich die Frage auf, welches Wissen und welche Kompetenzen wir brauchen, um diese Herausforderung zu meistern.

Environment, Social and Governance (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung)

Landläufig wird Nachhaltigkeit oft mit Umwelt- und Ressourcenschutz gleichgesetzt. Dies ist aber nur eine der drei Säulen, auf denen der Begriff der Nachhaltigkeit definiert wird, und die auch Grundlage von Nachhaltigkeitsberichten und -bewertungen sind. Der gerechte und sozial verantwortliche Umgang mit Mitarbeitenden, Kunden, Lieferanten und Partnern entlang der gesamten Liefer- und Wertschöpfungskette gehört genauso dazu wie Steuerehrlichkeit oder Unbestechlichkeit im Rahmen der Unternehmensführung. Diese drei Wertesäulen beeinflussen sich natürlich gegenseitig, sie sind nicht vollständig isoliert voneinander zu betrachten und zu implementieren. Ein korruptes Unternehmen wird nicht ökologisch korrekt operieren, und ein Unternehmen, das seine Mitarbeitenden und Partner ausbeutet, wird nicht gleichzeitig strikt die Einhaltung von Gesetzen befolgen. Ein Unternehmen, das sich ernsthaft um Nachhaltigkeit bemüht, wird also jede seiner wichtigen Entscheidungen daraufhin überprüfen, ob diese bezüglich ESG

  • die gesetzlichen und regulatorischen Anforderungen erfüllt
  • die Erwartungen der Kunden, der Partner und der Gesellschaft erfüllt
  • Chancen nutzt, das Unternehmen besser (und damit auch ertragreicher) in einem nachhaltigen wirtschaftlichen Umfeld zu positionieren.

Für die Digitalisierungsaktivitäten heisst das, den gesamten Lebenszyklus der digitalen Produkte auf Nachhaltigkeits-Compliance und -potenzial zu überprüfen.

Scope

Der Scope eines konkreten Digitalisierungsprojektes hat sicherlich das grösste Potenzial für echte Nachhaltigkeitseffekte. Werden neue Arbeitsweisen oder neues Konsumverhalten der Benutzerinnen und Benutzer gefördert? Werden Rohstoffe mithilfe digitaler Prozesse eingespart oder können sie wiederverwendet werden? Werden Verwaltungsprozesse transparent und fälschungssicher gestaltet oder wird Austausch und Kommunikation gefördert? Die Analyse und die effektive Umsetzung von ESG-Zielen in einem digitalen Produkt ist eine Herausforderung des Produktdesigns. Wie genau werden die gewünschten Effekte erzielt? Funktioniert der Business Case? Methoden des Produkt-Designs wie z.B. die Erstellung eines Business Canvas oder Design-Thinking-Ansätze werden um Aspekte der Nachhaltigkeit ergänzt und verankern diese so als integrales Qualitätsmerkmal einer Lösung.

Entwicklung

Im Softwareentwicklungsprozess bedeutet Nachhaltigkeit, dass eingesetzte Ressourcen verantwortungsvoll eingesetzt werden. Welches sind die Ressourcen? Neben der Energie, die für die reine Entwicklungs- und Testumgebung verwendet wird, ist das auch das Know-how der Entwicklerinnen und Entwickler. «Nachhaltigkeit» kann hier also auch der nachhaltige Umgang mit Wissen sein: gute Reuse-Strategien, die Verwendung von und die Publikation als Open Source Code, aber auch kollaborative Arbeitsweisen wie Pair-Programming sind Methoden, die auf soziale ESG-Ziele einzahlen. Ausserdem wird natürlich in der Entwicklung die Basis für einen nachhaltigen Betrieb gelegt: Die Verwendung von intelligenten Algorithmen, die zur Einsparung von einigen Prozessorzyklen oder zu effektiverem Speichermanagement beitragen, kann, je nach Problemstellung und Anwendungsbereich, die Betriebskosten der Lösung signifikant senken.

Betrieb

Last but not least der Betrieb als vielleicht sichtbarster Baustein einer nachhaltigen, oder eben einer nicht nachhaltigen, digitalen Lösung. Energieverbrauch, Wärmeerzeugung, Hardwareverbrauch – dies sind die Problemfelder eines Betriebs von digitalen Infrastrukturen. Dementsprechend ist die Kenntnis von Lösungen zu einem effektiven Energiemanagement, die Verwendung von energiesparender Hardware, die Möglichkeiten zur natürlichen Kühlung und/oder zur Wärmerückgewinnung der Schlüssel zu einem nachhaltigen Vorgehen.

Fazit

Nachhaltigkeit und Digitalisierung haben sehr viel miteinander zu tun. Digitalisierung kann ein entscheidendes Werkzeug sein, um Nachhaltigkeit zu schaffen. Sie kann dem allerdings auch zuwiderlaufen. Nachhaltigkeit ist aber ein gesellschaftliches Ziel, das sich in den gesetzlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen, aber auch in den Erwartungen von Kunden und Partnern immer stärker manifestieren wird. Daher muss die Digitalisierung eines Unternehmens die ESG-Dimensionen der Nachhaltigkeit explizit in die Zielsetzung aufnehmen, und zwar von der strategischen Formulierung bis hin zum operativen Betrieb. Das notwendige Wissen über Arbeitsweisen, Technologien und Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Digitalisierung wird zur Schlüsselkompetenz.

ti&m unterstützt den Autor bei der Durchführung des CAS «Nachhaltige Digitalisierung» im Frühling 2024 an der HSLU Hochschule Luzern.

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