Schon im Imperium Romanum waren Urkunden beliebt, um rechtsverbindliche Inhalte festzuhalten. Eine Urkunde belegt die Echtheit und die Richtigkeit des Inhaltes auf Papier. Nach dem damaligen Stand der Technik bestand dieser Träger aus Pergament und später aus Papier. Mit der Zunahme des Handels im späten Mittelalter wuchs das Bedürfnis nach einer weiteren Funktion der Urkunde. Mit ihr sollte ein Recht nicht nur verbindlich festgehalten, sondern auch mobilisiert werden: Durch Übergabe einer Urkunde von Person zu Person (peer to peer). Es entwickelte sich das Konzept des Wertpapiers.
Nach dem heute noch geltenden schweizerischen Rechtsverständnis ist ein Wertpapier eine Urkunde, mit der ein Recht derart verknüpft ist, dass es ohne die Urkunde weder geltend gemacht noch übertragen werden kann. Der Besitz des Papiers ist Ausweis für die Geltendmachung des Rechts und die Übertragung des Besitzes ist die Voraussetzung für die Übertragung des Rechts.
Zentrale Rechner und das Vertrauen in deren Betreiber
Die Verbreitung des Wertpapieres begann im 16. Jahrhundert und erlebte eine erste Blüte anfangs des 20. Jahrhunderts. Millionen von Urkunden mussten physisch eingelagert und ausgetauscht werden. Bald zeigten sich die Grenzen der Mobilisierungsfunktion des Wertpapiers. So gründeten Schweizer Banken 1970 ein Gemeinschaftsunternehmen, die Schweizerische Effekten-Giro AG (SEGA – Vorgängerin der heutigen SIX Group AG), zur zentralen Verwahrung der physischen Aktienzertifikate. Bei dieser sogenannten mediatisierten Wertpapierverwahrung musste der Titel zur Übertragung des Rechts fortan nicht mehr physisch geliefert werden. Das Wertpapier wurde durch die Verwahrung immobil gemacht und die Übertragung des Rechts erfolgte nur noch mittels Gutschriften (Buchungen). Diese Buchungen wurden mit der fortschreitenden Digitalisierung auf den zentralen Rechnern von Banken und Verwahrern erfasst. Es wurde der erste Grundstein für das digitale Erfassen, Halten und Übertragen eines Rechtsanspruches gelegt. Eine zentrale digitale Datenbank war und ist heute noch der «Gralshalter» für die Urform von Digital Trust.
Die Bedeutung des Standes der Technik
Die Geschichte des Wertpapiers ist geprägt vom Bemühen der Marktteilnehmer und des Gesetzgebers, das Eigentum am Papier und das damit verknüpfte Recht zivilrechtlich bestmöglich zu schützen und gleichwohl eine sichere Übertragung auch bei hohen Volumen und vielen Marktteilnehmern sicherzustellen. Dabei sind die im Verlauf der Zeit entwickelten Rechtskonzepte immer auch im Kontext des jeweiligen Standes der Technik zu verstehen. Im Zentrum stand und steht dabei die Frage, welchen digitalen Informationen und Funktionen man vertrauen kann. Dieser Stand der Technik entwickelte sich seit dem Anfang des 21. Jahrhunderts rasant und beeinflusste auch die nächste Stufe der Evolution von Digital Trust.
Mit der Einführung des sog. Registerwertrechtes (Art. 973d OR) im Jahr 2021 manifestierte der Schweizer Gesetzgeber eine erstaunliche Offenheit für einen neuen Stand der Technik. Das neue Registerwertrecht fusst auf der Erkenntnis, dass es heute technisch möglich ist, digitale Funktionen so zu programmieren und so zuverlässig auf digitalen Infrastrukturen zu betreiben, dass sie als Informationsträger funktional mit einer Urkunde bzw. einem Wertpapier vergleichbar sind. Rechtlich relevante Informationen können mit dieser Technologie unveränderlich eingetragen und ausschliesslich für den Berechtigten oder die Berechtigte zur Übertragung verfügbar gemacht werden. Der oder die Berechtigte kann sich dadurch auch gegenüber dem Schuldner und Dritten als Inhaber oder Inhaberin des Rechts ausweisen. Der Schweizer Gesetzgeber hat damit ein Rechtskonzept für eine wichtige Anwendung von Digital Trust geschaffen.
Um möglichst technologieneutral zu bleiben, fasste der Gesetzgeber diese digitalen Funktionen und Infrastrukturen unter dem Begriff der «Technologie der verteilten Register» zusammen. Es fallen darunter Technologien, die auch als Blockchain oder Distributed Ledger Technology (DLT) bekannt sind.Blockchain-Protokolle wie z. B. das Bitcoin-Protokoll ab 2009 und das Ethereum-Protokoll ab 2015, die oft nur als «Krypto» abgewertet werden, enthalten diese Funktionen. Was ebenfalls in der Berichterstattung über Krypto bislang untergeht, ist der Umstand, dass diese Protokolle seit der Einführung ununterbrochen und präzise wie ein Schweizer Uhrwerk laufen. Gerade darin liegt neben der Funktionalität die Radikalität dieser Protokolle: Sie funktionieren zuverlässig und sicher als dezentrale Systeme. Diese Protokolle sind heute Stand der Technik und das «Papier» der Zukunft. Sie sind die Wegbereiter für die Weiterentwicklung von Digital Trust, nicht nur im Bereich der Wertpapiere, sondern auch bei anderen Anwendungen wie Zertifikate, Warenpapiere, Ausweise, etc.
Der Kreis schliesst sich
Dank der «Technologie der verteilten Register» können mit diesem neugeschaffenen Rechtskonzept des Registerwertrechts Rechte sicher digital mobilisiert werden. Damit kann digital das ermöglicht werden, was früher durch direkte physische Übergabe
einer Urkunde oder Buchung durch einen lizenzierten Intermediär möglich war. Die Herausgabe, das Halten und das Übertragen von digitalen mobilisierten Rechten wird wieder ohne Intermediäre möglich. Der Kreis schliesst sich.
Der Schweizer Gesetzgeber hat nicht geschlafen. Er hat das Potenzial der «Technologie der verteilten Register» erkannt und neben Papier und zentralen Datenbanken neu digitale Funktionen als Informationsträger und Anwendungsform von Digital Trust zur Mobilisierung eines Rechts zugelassen. Dank Digital Trust und einem wachen Gesetzgeber erlebt das Wertpapier in seiner Ursprungsfunktion einen zweiten Frühling. Einer neuen Ära der digitalen Mobilisierung von Rechten und rechtlich relevanten Informationen mit einer zum Teil neuen Rollenverteilung der verschiedenen Marktakteure wird der Weg bereitet. Es eröffnen sich neue Möglichkeiten, Produkte und Dienstleistungen für Userinnen und User zu entwickeln, die immer digitaler agieren und deren Bedürfnis nach sicheren und richtigen digitalen Informationen ungebrochen ist. Diese neue Ära kann sich in der Schweiz in einem bereits gut regulierten Rechtsraum entfalten. Selbstverständlich wird es dennoch notwendig sein, an gewissen Stellschrauben zu drehen. Diese sind aber mit Bedacht und am richtigen Ort anzuziehen.