«Was ein Unternehmen glaubt zu produzieren, ist nicht von eminenter Bedeutung für den Erfolg. Was Kunden glauben zu kaufen, was sie als Wert betrachten, das ist entscheidend»– Peter Drucker, Ökonom und Pionier der Managementlehre
Dieser Gedanke des Management-Pioniers Peter Drucker hat viele Manager in der Finanzbranche beeinflusst. Banken und andere Finanzdienstleister haben realisiert, dass ihr klassisches Angebot «Konto – Karte – Kredit» nicht direkt einem Kundenbedürfnis entspricht. Dieses Angebot ist nur Mittel zum Zweck bei der Erfüllung des Traums vom Eigenheim oder der finanziellen Selbstbestimmung. Als strategisches Ziel wurde daher verkündet, integrierte Lösungen für Kunden anzubieten, die einen Mehrwert für Kunden schaffen. Ganzheitliche Finanzlösungen aus einer Hand sind aber keine neue Idee. Schon um die Jahrtausendwende fusionierten Banken und Versicherungen unter dem Schlagwort «Allfinanz», scheiterten jedoch an der Umsetzung. Stehen wir nun vor einer Rückkehr dieser Idee?
Es gibt allerdings einen grossen Unterschied: Die neuen Lösungen basieren auf digitalen Ökosystemen, nicht auf der Integration durch «Mergers & Acquisitions». Durch den standardisierten Datenaustausch, egal ob freiwillig oder regulatorisch vorgegeben (Stichwort PSD2), können verschiedene Produkte und Dienstleistungen zu Komponenten in einem digitalen Ökosystem werden und so zu neuen Nutzenversprechen kombiniert werden. Die Unternehmen in einem digitalen Ökosystem arbeiten partnerschaftlich zusammen. Geleitet wird die Zusammenarbeit von einem Orchestrator, der die zugrundeliegende Plattform und die Schnittstellen definiert und managt. Komplementoren werden die Partner genannt, deren Angebote Teil des Ökosystems sind.
Digitale Ökosysteme als Organisationsform für integrierte Lösungen bieten neue Möglichkeiten der Wertschöpfung. Sie ermöglichen eine ungeahnte Breite und Tiefe an Angeboten über Unternehmens- und Branchengrenzen hinweg. Zudem ermöglichen Ökosysteme die kunden- spezifi sche und effi ziente Integration der Angebote, unter anderem durch die Verarbeitung grosser Daten- mengen. Trotz aller Potenziale bergen digitale Ökosysteme aber auch das Risiko, die alten Fehler der Allfinanz zu wiederholen. In den letzten zehn Jahren sind viele Ökosysteme rund um den Traum vom Eigenheim entstanden. Derzeit stellen jedoch viele Unternehmen fest, wie schwierig es ist, eine Kerninteraktion mit Mehrwert für den Kunden zu identifizieren und zu monetarisieren. Der uneingeschränkte Optimismus, selbst digitale Ökosysteme aufbauen zu können, schwindet bei vielen Banken und Finanzdienstleistern. Die Fähigkeit, sich im Wettbewerb mit und um Partner strategisch zu positionieren, wird allerdings immer entscheidender. Finanzdienstleister müssen drei Herausforderungen managen, um integrierte Lösungen auf Ökosystem- Basis langfristig zu etablieren.
01 Mehr Angebote und technologische Öffnung ist nicht gleich Kundennutzen
Ein Ökosystem muss wirklichen Mehrwert für Kunden schaffen. Der Kundennutzen des Ökosystems muss mehr wert sein als die Summe der einzelnen Komponenten. Dafür ist eine Kombination von mehreren Produkten nicht ausreichend, egal ob entlang der Wertkette oder einer «Customer Journey». Auch eine Öffnung des Produkts auf Basis technischer Möglichkeiten, wie es Software-Systeme oder APIs erlauben, ist nicht ausrei- chend. Solche Ökosysteme adressieren oft kein relevantes Kundenbedürfnis. Wie schafft man aber Nutzenversprechen, die wirklichen Mehrwert schaffen? Selten kann man diese auf dem Reissbrett defi nieren. Unzählige Experimente sind nötig, um eine Kerninteraktion zu finden, welche ein Kundenbedürfnis genau trifft. Erst danach ergibt es Sinn, das Ökosystem um diese Kerninteraktion herum sukzessive auszubauen.
02 Mitbewerber? Partner? Oder beides?
Um die erste Herausforderung zu lösen, müssen Banken und Finanzdienstleister Ko-Innovation lernen. Die Fähigkeit, mit und für Partner Wert zu schaffen, ist gerade für grosse Unternehmen mit einer langen Erfolgsgeschichte nicht selbstverständlich. Es gilt, Expertise von anderen Unternehmen zu akzeptieren und mit diesen eine Vertrauensbasis für Diskussionen auf Augenhöhe zu schaffen. Um bei integrierten Lösungen Fortschritte zu machen, ist Kollaboration auch mit Konkurrenten und Unternehmen aus anderen Branchen entscheidend. Bei der Auswahl von Partnern stehen Finanzdienstleister vor besonderen Schwierigkeiten. Finanzdienstleistungen sind in so vielen Lebensbereichen relevant, dass ein Fokus für Zusammenarbeit oft nicht klar erkennbar ist. Zudem erschwert das stark regulierte Umfeld das Experimentieren und Teilen von Daten. In vielen Fällen wird daher eine Separation von Ökosystem-Initiativen vom Kerngeschäft nötig sein, um die Grundlage zur Ko- Innovation zu schaffen.
03 Orchestrator oder Komplementor – die passende Rolle finden
Nicht zuletzt müssen Unternehmen über kollaborativ entwickelte Ökosystem-Lösungen die Kontrolle behalten. Die Gefahr besteht, dass die Finanzprodukte des eigenen Unternehmens zu Komponenten in einem digitalen Ökosystem werden, welches von anderen kontrolliert wird. Es droht der Verlust von Kunden- und Daten- zugang. Für Banken gibt es zwei Optionen, um Kontrolle zu behalten. Zum einen kann man selbst versuchen, als Orchestrator ein Ökosystem aufzubauen. Dafür benötigt es eine Legitimation gegenüber Partnern und Kunden, wieso man diese zentrale Rolle einnehmen kann und wie man einen Mehrwert für alle Ökosystem-Teilnehmer schaffen will. Eine Strategie als Ökosystem-Orchestrator verspricht hohe Gewinne, birgt aber auch hohe Risiken. Zum anderen kann man auch als Komplementor erfolgreiche Strategien identifizieren. Dies sollte ein strategischer Imperativ für Finanzdienstleister sein, denn insbesondere gegenüber globalen Mega-Ökosystemen wie Meta (Facebook), X (Twitter) oder Apple wird kaum eine Bank im direkten Wettbewerb langfristig erfolgreich sein. Der Umgang mit diesen strategischen Herausforderungen digitaler Ökosysteme wird langfristig entscheidend sein, um im Wettbewerb zu bestehen.